Keine leeren Worte: Autokraten und ihre tödliche Ehrlichkeit
Es gibt einen unangenehmen Gedanken, den wir gerne verdrängen: Autokraten sind ehrlich. Nicht im moralischen Sinne, sondern in ihrer erbarmungslosen Konsequenz. Sie sagen genau das, was sie tun wollen – und tun es dann auch.
Ein Blick zurück: Geschichte als Lehrmeister
Es klingt fast absurd, dass man diese Lektion immer wieder lernen muss. Doch schauen wir uns die Historie an:
Adolf Hitler schrieb in Mein Kampf seine Expansionspläne nieder. Die Welt nannte ihn verrückt – bis er Europa überrannte.
Josef Stalin sprach von der „Säuberung“ innerer Feinde – und Millionen verschwanden in Gulags.
Mao Zedong verkündete den Grossen Sprung nach vorn – und China stürzte in Hungersnot und Chaos.
Wladimir Putin nannte 2005 den Zerfall der Sowjetunion „die grösste geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts“ – 2014 nahm er sich die Krim, 2022 folgte die Invasion der Ukraine.
Das Muster? Erschreckend konsistent: Wer genau hinhört, weiss, was kommt.
Und nun: Xi Jinping und Taiwan
Xi Jinping hat in seiner Neujahrsansprache 2024 erneut betont, dass „niemand die nationale Wiedervereinigung aufhalten kann.“ Das klingt harmlos – bis man sich die Fakten ansieht:
Über 1'700 militärische Flugoperationen in Taiwans Luftverteidigungszone im Jahr 2023 – ein Anstieg um 50 % gegenüber 2022.
370 Kriegsschiffe umfasst Chinas Marine mittlerweile – mehr als jede andere Flotte weltweit (zum Vergleich: Die USA haben ca. 290).
Nur noch 12 Staaten weltweit erkennen Taiwan offiziell an – Chinas diplomatische Isolation zeigt Wirkung.
Xi Jinping setzt genau das um, was er ankündigt: Taiwan wird politisch isoliert, militärisch eingeschüchtert und wirtschaftlich unter Druck gesetzt. Eine Invasion steht nicht unmittelbar bevor – aber die Vorbereitung ist offensichtlich. Die Frage ist nicht ob, sondern wann.
Trump: Der amerikanische Autokrat?
Nicht nur im Osten zeigt sich dieses Muster. Donald Trump spielt das Spiel genauso konsequent.
Er sprach schon 2020 von Wahlbetrug, falls er verlieren sollte – und seine Anhänger stürmten nach der Niederlage am 6. Januar 2021 das Kapitol.
Er kündigte an, das Justizsystem zu „säubern“ – und setzte Richter ein, die ihm ideologisch nahe stehen.
Dass er die Ukraine, Europa und die NATO fallen lassen wird (wenn sie ihm nicht gehorchen), hat er bereits bei den Wahlen immer wieder angedeutet und zieht es aktuell mit voller Härte durch.
Zudem wird über eine Verfassungsänderung gesprochen, die ihm eine dritte Amtszeit ermöglichen könnte. Der republikanische Abgeordnete Andy Ogles brachte einen entsprechenden Vorschlag ein – obwohl dies eine Zweidrittelmehrheit in beiden Kammern des Kongresses und die Zustimmung von drei Vierteln der Bundesstaaten erfordern würde.
Klingt unrealistisch? Xi Jinping und Wladimir Putin haben es vorgemacht – und wurden „auf Lebenszeit“ in ihren Ämtern bestätigt. Trump scherzte schon während seiner Präsidentschaft mehrmals darüber, „länger zu bleiben“. Es scheint, als würde er die Idee nun ernsthaft prüfen lassen.
Lehren aus der Geschichte: Das Schachbrett der Macht
Autokraten sind pragmatisch. Ihre Ankündigungen sind keine rhetorischen Floskeln, sondern strategische Züge auf dem Schachbrett der Macht. Sie machen sich nicht die Mühe zu lügen, wenn die Wahrheit viel erschreckender und effektiver ist.
Sie setzen auf drei bewährte Strategien:
Strategische Isolierung und Destabilisierung
Vor der Eroberung wird der Gegner politisch isoliert und wirtschaftlich geschwächt. China macht es mit Taiwan vor, Russland mit der Ukraine.
Kalkül statt Emotion
Ein Krieg wird nicht aus Wut oder Rache geführt, sondern aus kalter Berechnung. Die Kosten-Nutzen-Rechnung muss stimmen. Solange das Risiko einer US-Intervention zu hoch ist, wird Xi Jinping nicht angreifen. Doch die militärischen Übungen bereiten Taiwan darauf vor, das Gefühl der Sicherheit zu verlieren.
Timing und Geduld
Ein kluger Autokrat wartet auf den richtigen Moment. Putin schlug 2014 zu, als der Westen mit der Finanzkrise beschäftigt war. Xi wird Taiwan angreifen, wenn die USA abgelenkt sind – wahrscheinlich durch innenpolitische Turbulenzen.
Was bedeutet das für uns?
Es ist verführerisch, Autokraten als verrückt oder irrational abzutun. Doch das Gegenteil ist der Fall: Sie sind Meister der Strategie. Sie sagen, was sie tun – und tun, was sie sagen.
Wer überrascht ist, hat nicht zugehört.
Die Lektion der Geschichte ist klar: Nimm einen Autokraten beim Wort – bevor seine Taten dich überraschen.
Man könnte fast lachen, wenn es nicht so ernst wäre.