Die Schweiz und die EU: Ein (fast) unmöglicher Tanz

Es ist eine Geschichte von Nähe und Distanz, von potenziellen Vorteilen und unverrückbaren Prinzipien: Die Schweiz und die Europäische Union – eine Beziehung, die seit Jahrzehnten von intensiven Diskussionen geprägt ist. Doch was wäre, wenn die Schweiz in den 1990er Jahren der EU beigetreten wäre und dennoch den Schweizer Franken behalten hätte?

Ein Blick zurück: Stagnation trifft auf Souveränität

Die 1990er Jahre waren für die Schweizer Wirtschaft eine eher bescheidene Zeit. Zwischen 1990 und 1996 wuchs das Bruttoinlandsprodukt (BIP) kaum merklich: 1994 nur um 0,5 %, 1995 um 0,6 %. Die Inflationsrate lag 1996 bei gerade einmal 0,8 %. Wirtschaftswachstum? Eher Fehlanzeige.

Hätte der EU-Beitritt das geändert? Möglicherweise. Der Zugang zum Binnenmarkt hätte Schweizer Unternehmen sicherlich einige Vorteile verschafft. Doch mit dem Beitritt hätte auch ein Teil der geliebten Souveränität auf dem Altar der Integration geopfert werden müssen. Und wer die Schweiz kennt, weiss: Souveränität ist hierzulande nicht nur ein Wort, sondern ein Prinzip.

Direkte Demokratie: Das unüberwindbare Hindernis

Hier liegt der eigentliche Knackpunkt: die direkte Demokratie. Sie ist das Herzstück des Schweizer politischen Systems und geniesst in der Bevölkerung Kultstatus. Volksabstimmungen zu Themen, die anderswo im Parlament entschieden werden, gehören zum Alltag. Ein EU-Beitritt hätte bedeutet, dass Schweizerinnen und Schweizer nicht mehr über alle Gesetze direkt abstimmen könnten. EU-Recht wird nun mal in Brüssel gemacht – und zwar ohne Volksabstimmungen.

Ein solcher Verlust an Mitbestimmungsrechten? Unvorstellbar. Die Schweiz hätte es wohl mit einer Volksabstimmung zur EU-Mitgliedschaft genauso gehalten wie 1992 beim Europäischen Wirtschaftsraum (EWR): 50,3 % der Stimmbürger lehnten den EWR-Beitritt ab.

Der Schweizer Franken: Ein Symbol der Eigenständigkeit

Hätte die Schweiz den Schweizer Franken auch als EU-Mitglied behalten? Vielleicht. Länder wie Schweden oder Dänemark zeigen, dass ein EU-Beitritt nicht zwingend die Einführung des Euro bedeutet. Doch der Schweizer Franken ist mehr als nur eine Währung. Er ist ein Symbol der Stabilität und Eigenständigkeit. Während der Euro in Krisenzeiten wackelte, blieb der Franken ein sicherer Hafen – und das nicht nur für die Schweizer Wirtschaft, sondern auch für internationale Anleger.

Man könnte sagen: Die Schweiz hätte den EU-Binnenmarkt vielleicht genossen, aber mit dem Franken als Sicherheitsnetz. Doch wie lange hätte das gutgehen können? Der Druck aus Brüssel, den Euro einzuführen, wäre kaum ausgeblieben.

Migration und Arbeitsmarkt: Chancen und Herausforderungen

Ein EU-Beitritt hätte auch die Freizügigkeit von Arbeitskräften mit sich gebracht. Prognosen vor dem Freizügigkeitsabkommen von 1999 gingen von maximal 10’000 Personen pro Jahr aus, die netto in die Schweiz einwandern würden. Tatsächlich waren es später rund siebenmal so viele. Ein früherer EU-Beitritt hätte wohl ähnliche Entwicklungen ausgelöst.

Das hätte Vorteile gehabt: qualifizierte Arbeitskräfte für die Wirtschaft. Aber auch Herausforderungen: steigende Wohnkosten, ein angespannter Arbeitsmarkt und gesellschaftliche Spannungen. Man stelle sich vor, wie die Schweiz versucht hätte, diesen Spagat zu meistern – zwischen wirtschaftlicher Offenheit und gesellschaftlicher Stabilität.

Die EU und direkte Demokratie: Ein Gedankenspiel

Es gibt einen Grund, warum die Schweiz so skeptisch gegenüber der EU ist: Das Fehlen direkter Mitbestimmungsrechte. In der EU können Bürger zwar Petitionen einreichen oder die Europäische Bürgerinitiative nutzen, aber das ist weit entfernt von der Macht eines Schweizer Referendums.

Stellen wir uns vor, die EU hätte ein direktdemokratisches System eingeführt – ähnlich wie das Schweizer Modell. Könnte das die Schweiz überzeugt haben, der EU beizutreten? Vielleicht. Doch dieser Gedanke ist so realistisch wie eine Kuh, die mit dem Euro bezahlt.

Fazit: Ein Tanz ohne Musik

Die Schweiz und die EU – das bleibt wohl eine komplizierte Beziehung. Direkte Demokratie, der Schweizer Franken und die tiefe Verwurzelung in der eigenen Souveränität machen es schwierig, die Schweiz in die EU zu integrieren. Und ehrlich gesagt: Würde die EU je bereit sein, sich an das Schweizer System anzupassen? Wohl kaum.

Ironischerweise könnte genau das, was die Schweiz so einzigartig macht, auch ihr grösstes Hindernis sein. Vielleicht bleibt es dabei: ein Tanz ohne Musik – mit viel Nähe, aber nie zu viel Bindung. Und die Schweizer Bevölkerung? Die würde das Ganze mit einem Volksentscheid beenden. Ganz demokratisch, versteht sich.

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