Von 'America First' zu 'America Alone' – Die selbstgebaute Isolation der USA

Es gibt eine alte Regel in der Geopolitik: Wer die Handelsrouten kontrolliert, kontrolliert die Welt. Seit dem Zweiten Weltkrieg waren die USA der Inbegriff dieser Maxime – eine maritime Supermacht, die ihre Stärke aus globalen Handelsnetzwerken, internationalen Allianzen und wirtschaftlicher Innovationskraft zog. Doch nun scheinen sie sich ausgerechnet von diesen Erfolgsrezepten zu verabschieden. Der neue Kurs unter Präsident Trump und Vizepräsident J.D. Vance? Protektionismus, Isolationismus und eine Annäherung an Autokratien.

Es ist eine bemerkenswerte Entwicklung. Die USA, die jahrzehntelang den Freihandel als Motor ihres eigenen Wohlstands propagierten, ziehen sich nun zurück, schlagen die Türen zu und werfen die Schlüssel weg. Gleichzeitig setzen sie ihre engsten Verbündeten vor die Tür, während sie mit fragwürdigen „Freunden“ am Verhandlungstisch Platz nehmen. Aber was bedeutet das langfristig für die wirtschaftliche und geopolitische Stellung der Vereinigten Staaten?

Vom Freihandel zur Festung Amerika

Freier Handel hat die USA gross gemacht – doch genau dieser Grundsatz steht nun zur Debatte. Die Trump-Administration hat hohe Zölle auf europäische Produkte angekündigt, insbesondere auf Autos. Eine Massnahme, die angeblich die heimische Industrie stärken soll. Doch die Realität sieht anders aus:

  • 25 % Zölle auf EU-Importe sollen das Handelsdefizit reduzieren, treiben jedoch die Preise für US-Konsumenten und Unternehmen in die Höhe.

  • US-Wachstum könnte um 2 Prozentpunkte fallen, wenn sich der Handelskrieg mit der EU ausweitet.

  • Vergeltungsmassnahmen der EU könnten US-Exporte belasten, insbesondere in Schlüsselbranchen wie Maschinenbau und Technologie.

Das Ironische daran? Während Trump den heimischen Markt schützen will, macht er genau das Gegenteil: Er erschwert den Zugang zu hochwertigen, kostengünstigen Importen und riskiert, dass US-Unternehmen durch steigende Produktionskosten an Wettbewerbsfähigkeit verlieren.

Von maritimer Macht zur kontinentale Festung?

Traditionell sind die USA eine maritime Macht – eine Wirtschaft, die auf Seehandel, globalen Märkten und offenen Handelsrouten basiert. Doch der aktuelle Kurs deutet auf einen schleichenden Übergang zu einer kontinentalen Strategie hin. Protektionismus, nationale Industriepolitik und Abschottung – alles Anzeichen eines wirtschaftlichen Modells, das mehr an Russland oder China erinnert als an den klassischen amerikanischen Kapitalismus.

Doch genau hier liegt die Gefahr:

  • Eine kontinentale Strategie funktioniert nur für Mächte mit riesigen Binnenmärkten. Die USA könnten sich zwar isolieren, aber ihr Markt allein reicht nicht, um langfristig wirtschaftlich dominant zu bleiben.

  • China ist bereits auf dem besten Weg, die Kontrolle über die wichtigsten Handelsrouten zu übernehmen. Die grösste Marine der Welt, massive Infrastrukturprojekte (z. B. die „Neue Seidenstrasse“) und eine kluge diplomatische Strategie setzen den USA zu.

  • Europa reagiert auf die US-Abschottung mit eigener Aufrüstung und Wirtschaftsintegration. Eine EU, die weniger von den USA abhängig ist, könnte sich langfristig als neue Supermacht positionieren.

Die USA laufen also Gefahr, sich selbst ins Abseits zu manövrieren – ausgerechnet in dem Spiel, das sie über Jahrzehnte dominiert haben.

Der Preis der Isolation: Verbündete suchen Alternativen

Man sagt, ein Freund, der dich verlässt, war vielleicht nie ein echter Freund. Aber was, wenn du selbst alle deine Freunde wegschickst?

Die USA haben in den letzten Jahren gezeigt, dass sie auf ihre Verbündeten nur noch bedingt Wert legen:

  • Die NATO wird in Frage gestellt – mit der klaren Botschaft, dass Europa künftig für seine eigene Sicherheit sorgen muss.

  • Kanada und Mexiko könnten sich verstärkt nach neuen Handelspartnern umsehen, um nicht mehr von den Launen Washingtons abhängig zu sein.

  • Europa und China nähern sich an – nicht aus Liebe, sondern aus wirtschaftlicher Notwendigkeit.

Trump selbst könnte diese Entwicklungen als „America First“ verkaufen – doch in Wirklichkeit führt dieser Kurs zu einer „America Alone“-Strategie. Die Welt wird nicht stehen bleiben und auf die USA warten. Während Washington sich auf Protektionismus und nationale Produktion konzentriert, entstehen neue wirtschaftliche und geopolitische Achsen.

Ein Machtverlust in Echtzeit

Wie sieht die Zukunft aus, wenn die USA diesen Kurs beibehalten?

  1. Wirtschaftlicher Niedergang durch Isolation: Die Wettbewerbsfähigkeit der US-Industrie wird durch steigende Produktionskosten und fehlenden Zugang zu globalen Märkten geschwächt.

  2. Verlust der geopolitischen Dominanz: Ohne starke Allianzen und wirtschaftliche Macht verlieren die USA an Einfluss in internationalen Institutionen.

  3. Aufstieg neuer Supermächte: Europa und China könnten die Lücke füllen – Europa durch wirtschaftliche Unabhängigkeit und militärische Aufrüstung, China durch strategische Expansion.

  4. Der US-Dollar als Leidtragender: Wenn der Welthandel sich stärker auf andere Währungen konzentriert, könnte der US-Dollar seine Stellung als globale Leitwährung schwächen.

Es wäre fast tragisch – wenn es nicht so vorhersehbar wäre. Die USA hatten über Jahrzehnte eine Position, um die sie viele beneideten: eine wirtschaftliche und militärische Supermacht, gestützt auf Freihandel und Allianzen. Doch nun scheint Washington die Grundpfeiler dieser Stärke eigenhändig einzureissen.

Fazit: Ein selbstgebautes Kartenhaus

Trump und Vance mögen glauben, dass sie die USA „stärker als je zuvor“ machen. Doch ihre Strategie erinnert eher an einen Boxer, der sich selbst in den Ring stellt und dann überrascht ist, wenn ihm die Gegner die Deckung abnehmen.

Protektionismus und Isolationismus sind für eine ehemalige Handelsmacht wie die USA das wirtschaftliche Äquivalent dazu, die eigene Brücke hinter sich abzubrechen – ohne ein Boot zu haben.

Die kommenden Jahre werden zeigen, ob die USA diesen Weg wirklich weitergehen oder ob sich Widerstand regt. Doch eines ist klar: Wer sich von der Welt abwendet, wird nicht die Welt verändern – sondern nur von ihr überholt.

Die Frage ist nicht, ob die USA geschwächt werden, sondern ob sie es noch rechtzeitig merken.

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